Bouretteseide

Die Geschichte der Seidenherstellung begann vor rund 5.000 Jahren in China. Fasziniert von den schimmernden Kokons des Seidenspinners, begannen die Menschen die Falter zu züchten. Aus den abgewickelten Fäden der Kokons entsteht die Naturseide, ein Material von einzigartigem Glanz und mit einer wunderbar geschmeidigen Haptik. Seide wird dabei in unterschiedlichen Qualitätsstufen hergestellt: Haspelseide ist die Seide, die in einem Zug vom Kokon des Maulbeerseidenspinners abgewickelt wird und einen einzigen langen Faden ergibt. Schappeseide wird aus den Anfang- und Endstücken des Kokons gewonnen und hat mittellange Fäden. Diese Fäden werden mehrmals gekämmt, um sie zu reinigen und zu ordnen. Aus den Fasern, die beim Abhaspeln der obersten Schicht abfallen und die beim Auskämmen übrig bleiben, sowie aus den Kokonresten wird Bouretteseide hergestellt.

Herstellung der Bouretteseide

Für Bouretteseide werden die Kokons des Maulbeerspinners oder des Japanischen Eichenspinners verwendet. Sie besteht also aus den Resten der Maulbeerseide oder der sogenannten Tussahseide. Der französische Begriff bourrette, bourre bedeutet so viel wie Füllhaar oder Flock und weist darauf hin, dass diese Seidenart aus den kurzen Füllfäden hergestellt wird, die bei der Herstellung anderer Seiden übrig bleiben. Strenggenommen stellen diese kurzen Füllfäden ein Abfallprodukt der Seidenproduktion dar. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es sich bei Bouretteseide um ein minderwertiges Produkt handelt. Durch das spezielle Herstellungsverfahren gewinnt sie vielmehr ihre ganz besonderen Eigenschaften und ihre unverwechselbare Oberflächenstruktur.

Die Fasern, die zur Bouretteseide verarbeitet werden, sind maximal 60 mm lang und von starken Knötchen durchsetzt, die sich auch bei der Verarbeitung nicht auflösen lassen. Dadurch gewinnt Bouretteseide ihre typische, grobe Struktur und eine eher raue Anmutung, die sich deutlich vom typischen Glanz der Haspelseide unterscheidet. Bouretteseide wird im Zweizylinderverfahren gewonnen, wird also mit nur zwei statt mit drei Zylindern gesponnen, was ebenfalls zu einer gröberen Struktur führt. Trotz der noppigen Oberfläche fühlt sich Bouretteseide angenehm weich an.

Der Großteil der Bouretteseidenproduktion erfolgt in China und Indien. Bouretteseide aus China ist in der Regel wesentlich weicher und glatter als Seidenbourette aus Indien.

Seide mit Rückständen von Seidenleim

Noch ein weiteres Element unterscheidet Bouretteseide von Haspelseide und Schappeseide: Anders als diese beiden Seidenarten kann Bouretteseide nicht vollkommen vom Seidenleim befreit werden.

Seidenleim besteht aus Serizin, einem Protein, mit dem der Seidenspinner Bombyx Mori seine Kokons zusammenhält. Um ihre Kokons überhaupt spinnen zu können, besitzen die Raupen des Seidenspinners am Unterkiefer zwei Drüsen. In diesen Drüsen bilden sie das Protein Fibroin. Zwei weitere Drüsen bilden Serizin, das die Fibroinstränge verklebt. Die Raupen drücken den Seidenfaden aus den Spinndrüsen am Ende ihres Kopfes heraus, der Seidenleim verbindet sie und sorgt dafür, dass der Kokon nicht auseinanderfällt. Für den Bau ihres Kokons benötigt eine Raupe etwa drei bis vier Tage. Reagiert das Serizin mit der Luft, härtet der Kokon aus. Die Raupe beginnt nun mit der Verpuppung.

So wichtig Seidenleim für den Seidenspinner auch ist, bei der Textilherstellung ist er eher unerwünscht. Serizin verleiht der aus den Kokons gewonnenen Rohseide einen stumpfen, gebrochenen Glanz und einen eher harten Griff. Um ihren typischen Schimmer und die begehrte weiche Haptik zu erhalten, wird Rohseide vom Seidenleim befreit. Diesen Vorgang nennt man Entbasten. Zum Entbasten wird die Rohseide in einem 90° C heißen Seifenbad rund eine Stunden lang bewegt und anschließend getrocknet. Mit dem Herauslösen des Seidenleims geht ein hoher Masseverlust einher. Einige Hersteller versuchen dies durch den Zusatz von Metallsalzen auszugleichen. Dabei geht dem Garn jedoch der charakteristische, weiche Griff verloren.

Bouretteseide lässt sich nicht vollständig entbasten, ein Teil des Seidenleims bleibt im Material zurück. Das verleiht der Bouretteseide ihren typischen Geruch, der sich in der Regel selbst nach dem Waschen hält. Manche Menschen empfinden diesen Geruch als penetrant. Er ist jedoch vor allem im nassen Zustand wahrnehmbar, trockene Bouretteseide riecht deutlich schwächer.

Bouretteseide: Sanft zu empfindlicher Babyhaut

Der hohe Gehalt an Seidenleim ist keinesfalls ein Nachteil. Serizin weist eine Reihe von positiven Eigenschaften auf: Das Protein hat zum Beispiel eine hautberuhigende und entzündungshemmende Wirkung. Bouretteseide wird daher gerne für die Herstellung von Windeln, Windel- und Stilleinlagen sowie für Babydecken verwendet. Windeleinlagen aus Bourette werden direkt auf die Haut aufgelegt, ohne zuvor Creme oder Puder aufzutragen. Nach etwa drei Stunden wird die Einlage gewechselt. Dies wiederholt man so lange, bis die wunden Stellen abgeheilt sind. Im Gegensatz zu Einlagen aus Heilwolle können Bourette-Einlagen (von Hand) gewaschen und dadurch jederzeit wiederverwendet werden. Das im Stoff enthaltene Serizin wirkt wohltuend auf die zarte Babyhaut ein und eignet sich insbesondere für Babys mit sensibler und zur Wundheit neigender Haut. Windeleinlagen werden hauptsächlich von Eltern verwendet, die auf traditionelle Stoffwindeln setzen. Sie lassen sich aber auch in Einwegwindeln einlegen.

Auch Babykleidung wird aus Bouretteseide hergestellt. So findet man zum Beispiel niedliche Babymützchen, Halstücher oder Strampler aus dem weichen Seidenstoff. Für Kinder mit Neurodermitis werden zudem Kratzhandschuhe aus Seidenbourette angeboten. Stilleinlagen aus Bouretteseide entspannen die vom Stillen gestresste Haut der Mutter.

Verwendung für Dekostoffe und Wohntextilien

Allergiker und Menschen mit empfindlicher Haut wissen Bouretteseide aufgrund ihrer antiallergenen und antibakteriellen Eigenschaften zu schätzen. Wie alle Seidentextilien bietet Bouretteseide kaum Angriffsfläche für Pilze und Milben, wodurch Seidendecken und -bettwäsche die Beschwerden von Hausstauballergikern mildern können. Dank ihrer antibakteriellen Eigenschaften dient Bouretteseide zudem für die Herstellung von wiederverwendbaren Hygieneartikeln. Tussah-Bouretteseide nutzt man als Füllung für Kissen und Decken.

Die raue und noppige Oberflächenstruktur der Bouretteseide erinnert an Leinen. Die Leinwandbindung macht sie strapazierfähig und unempfindlich – Eigenschaften, die für die Herstellung von langlebigen Wohntextilien und Dekostoffen gefragt sind. Selbst nach vielen Jahren in Gebrauch verändern Textilien aus Bouretteseide weder ihr Aussehen noch ihre Beschaffenheit.

Wie alle Naturseiden besitzt auch Bouretteseide klimatisierende Eigenschaften: Sie kühlt bei Hitze und wärmt bei kühlen Temperaturen. Seidenbourette ist jedoch etwas fülliger als andere Seidenstoffe und hält daher noch zuverlässiger warm. Für die Modeindustrie hat Bouretteseide dennoch kaum Bedeutung. Für Kleidung wird sie eher selten verwendet, obwohl es sich um eine günstige Alternative zur Haspel- und Schappeseide handelt.

Seidenbourette in vielen verschiedenen Farben

Dass Bouretteseide für die Kleidungsindustrie von geringer Bedeutung ist, hängt zum einen damit zusammen, dass sie kaum wie gewöhnliche Seide aussieht. Mit ihrem stumpfen, weichen Griff erinnert gewebte Bouretteseide eher an rustikale Baumwollstoffe. Das Wärmeverhalten und die elektrische Leitfähigkeit gleichen dagegen der Wolle. Darüber hinaus wurde Bouretteseide lange Zeit nur ungefärbt angeboten. Sie hat einen etwas dunkleren Farbton als die von Natur aus rein weiße Haspelseide. Naturweiße Bouretteseide verfärbt sich durch die Einwirkung von UV-Licht schnell – und zwar nicht nur beim Trocknen des Stoffes, sondern auch, wenn Seidentextilien im Freien getragen werden. Das kann zum Beispiel zu „vergilbt“ wirkenden Schulterpartien oder zu einem schnellen Ausbleichen der Textilien führen. Für Kleidung ist das natürlich ein unerwünschter Effekt.

Mittlerweile hat man jedoch Möglichkeiten gefunden, Seidenbourette einzufärben. Vor allem aus China stammende Bouretteseide wird heute einem sorgsamen Bleichprozess unterzogen. Der verleiht ihr eine helle Oberfläche ohne Pflanzenteilchen. In indischer Bouretteseide finden sich manchmal noch Rückstände von Samenkapseln. Gebleichter und anschließend gefärbter Seidenbourette ist als Meterware in vielen verschiedenen Farben erhältlich. Die Seidenfasern werden jedoch nicht nur zu gewebten Stoffen verarbeitet, sondern auch gestrickt. Auf diese Weise entsteht Seidenjersey. Er wird nach wie vor meist in Naturweiß angeboten, seltener findet man ihn in Schwarz. Seidenjersey kann jedoch sehr gut mit Textilfarben eingefärbt werden und eignet sich für die Herstellung von Tops, T-Shirts, weiten Hosen und Hemden.

Seidenkleidung selber nähen

Bouretteseide ist eine gute Wahl für alle, die ihre Kleidung gerne selbst nähen. Gerade dank ihrer leicht noppigen Oberflächenstruktur lässt sich Bouretteseide relativ einfach verarbeiten. Verschiedene Stofflagen haften aneinander und verrutschen beim Nähen von Hand oder mit der Maschine kaum – anders als die sehr glatte Haspelseide. Selbst Anfänger können sich daher an das Nähen mit Bouretteseide heranwagen. Da die Textilien günstiger sind als Haspel- oder Schappeseide, fallen auch kleine Fehler nicht so sehr ins Gewicht. Wichtig ist, dass die Stoffe stets vor dem Zuschnitt vorgewaschen werden. Ansonsten kann es sein, dass die maßgeschneiderte Kleidung nach der ersten Wäsche plötzlich nicht mehr passt.

Insbesondere Bourette aus Maulbeerseide nimmt moderne Textilfarben recht gut an. Manche Anbieter haben Seidenstoffe in bis zu 85 oder mehr Farben im Sortiment. Wer Kleidung oder Wohntextilien selbst nähen möchte, kann die Seidenstoffe auch zuhause färben. Dazu eignen sich zum Beispiel dampffixierbare Seidenmalfarben oder auch Procion MX. Aufgrund des hohen Gehalts an Seidenleim muss Bouretteseide vor dem Färben gut durchfeuchtet werden. Andernfalls wird der Faden spröde und hart. Vorwaschen kann die Farbaufnahme verbessern.

Neben gewebten und gestrickten Bourette-Stoffen findet man im Handel auch Bourette-Garn zur Herstellung von Strickwaren. Das Garn lässt sich ebenfalls färben. Durch die hohen Temperaturen beim Färben kann sich allerdings das Serizin in der Seide versteifen. Das Seidengarn lässt sich danach kaum weiterverarbeiten. In diesem Fall kann es helfen, den Seidenstrang fest zusammenzudrehen und ruckartig auseinanderzuziehen, um den Seidenkleber aufzubrechen.

Bouretteseide richtig pflegen

Bouretteseide ist unempfindlicher als die meisten anderen Seidenarten. Für einen optimalen Qualitätserhalt sollte sie dennoch nicht bei zu hohen Temperaturen gewaschen werden. Das gilt für Wohntextilien, Dekostoffe, Kleidung und auch für Hygieneartikel. Am besten wäscht man Bouretteseide von Hand oder im Woll- oder Feinwaschprogramm der Waschmaschine. Einige moderne Waschmaschinen verfügen auch über ein spezielles Seidenwaschprogramm. Dunkle und helle Farben sind getrennt voneinander zu waschen. Seide sollte zudem nur leicht angeschleudert werden, damit die empfindlichen Fasern keinen Schaden nehmen.

Wie alle Seidenstoffe ist Bourette empfindlich gegenüber Alkali. Der Seidenspinner nutzt eine alkalische Flüssigkeit, um einen Teil des Kokons aufzulösen und schlüpfen zu können. Entsprechend bleibt Seide empfindlich gegenüber herkömmlichen, alkalischen Voll- und Feinwaschmitteln. Spezielle Seidenwaschmittel sind dagegen frei von Alkali sowie von optischen Aufhellern und Enzymen, die den Seidenproteinen ebenfalls schaden können. Für die Handwäsche löst man flüssiges Seidenwaschmittel vollständig im Wasser auf und gibt das Textil anschließend hinein. Bei der Maschinenwäsche wird das Seidenwaschmittel gemäß Anweisung des Herstellers verwendet. Keinesfalls sollte man Weichspüler mit zur Seidenwäsche geben.

Für mehr Glanz kann man einen Schuss Essig in die Maschine geben oder legt die Seide nach der Wäsche in eine Essigspülung. Der typische Essiggeruch verfliegt beim Trocknen. Essig kann brüchig und spröde gewordener Seide auch wieder eine weichere Haptik verleihen.

Die Reinigung nur leicht verschmutzter Seidenstoffe ist meist kein Problem. Doch wie sollte man mit hartnäckigen Flecken verfahren, etwa mit Fettflecken? Ein beliebtes Hausmittel gegen Fettflecken ist Backpulver: Auf den Fleck gestreut, lässt man es etwa 20 Minuten lang einwirken und klopft es anschließend gründlich ab. Eine Alternative ist Waschbenzin. Vor der Anwendung sollte man jedoch zunächst eine Farbprobe an einer unauffälligen Stelle machen. Waschbenzin wird nur aufgetupft, Reibung beschädigt die Seidenproteine. Im Zweifel sollte man Seidentextilien mit hartnäckigen Flecken in die chemische Reinigung geben.

Seidentextilien schonend trocknen

Wie beschrieben, vergilbt Seide bei direktem Sonnenlicht oder bei Kontakt mit Hitze. Bouretteseide ist dafür noch ein wenig anfälliger als andere Seidenarten. Trocknergeeignet ist Seide ebenfalls nicht. Im Trockner entsteht Reibung, die Seide trocknet aus und wird spröde. Nach dem Waschen zieht man Bouretteseide am besten vorsichtig in Form und trocknet sie anschließend liegend, zum Beispiel auf dem Wäscheständer, und weg vom direkten Sonnenlicht. Sollte Seide austrocknen, lädt sie sich leichter elektrostatisch auf. Mit nasser Hand über den Stoff zu streifen bringt Abhilfe.