Seidenarten

Seide ist nicht gleich Seide. Der feine Stoff, gewonnen aus den Kokons der Seidenspinnerraube, fasziniert die Menschen seit Jahrtausenden. Im Lauf der Jahrhunderte wurden viele verschiedene Methoden entwickelt, den Seidenfaden zu aufregenden und attraktiven Textilien zu verarbeiten. Leichter Chiffon unterscheidet sich dabei deutlich von Geweben aus der eher gröberen Wildseide. Doch nicht nur beim Gewebe gibt es Unterschiede, Seidenarten lassen sich auch nach der Art der Seidenspinnerrauben einteilen, die den Kokon zur Seidenherstellung liefern, wie auch nach der Art der Seidenherstellung.

Hier gibt es einen Überblick über die verschiedenen Seidenarten.

Seidenarten nach Seidenspinnertyp

Der Seidenspinner ist ein ursprünglich in China beheimateter Schmetterling aus der Familie der Echten Spinner (Bombycidae). Er wird auch als Maulbeerspinner bezeichnet, sein wissenschaftlicher Name lautet Bombyx mori. Der Seidenspinner stammt vom Wildseidenspinner (Bombyx mandarina) ab und wurde domestiziert, als die Menschen begannen, die Kokons zur kommerziellen Seidenherstellung zu nutzen. Während die wilde Variante auch in Nordindien, Korea, Japan und dem östlichen Teil Russlands vorkommt, stammt die domestizierte Variante vorwiegend aus China. Dort begann man vor rund 5.000 Jahren mit der Zucht der Rauben. Mit dem kommerziellen Seidenbau verbreitete sich auch der Seidenspinner außerhalb seines ursprünglichen Lebensraums und ist heute etwa auch in Südeuropa zu finden.

Der ausgewachsene Schmetterling ist 32 bis 38 Millimeter breit und von mehlweißer bis perlgrauer Farbe mit gelblich-braunen Querstreifen auf den Flügeln. Am Kopf sitzen dunkle, gekämmte Fühler, die sogenannten Antennen. Die Seidenspinnerraube ist nach der ersten Häutung gräulich gefärbt, einige Arten bringen jedoch auch schwarzgraue oder schwärzliche Raupen hervor. Aus dem elften Körperglied ragt ein charakteristischer Hautzapfen hervor, der als Sporn bezeichnet wird. Etwa 30 bis 35 Tage nach dem Schlüpfen spinnt sich die Seidenspinnerraube in ihren Kokon ein. Um Seide zu gewinnen, werden die Puppen rund zehn Tage nach der Fertigstellung des Kokons mit heißem Dampf oder Wasser getötet, der Spinnfaden wird vorsichtig abgewickelt und weiterverarbeitet.

Neben dem Seidenspinner gibt es jedoch noch einige andere andere Schmetterlinge, deren Raupen zur Seidengewinnung genutzt werden. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist vor allem der Atlasspinner (Atticus atlas). Der bis zu 30 cm große Nachtfalter kommt wild vor allem in den tropischen und sub-tropischen Wäldern Süd-Ostasiens und Chinas vor. Weiterhin werden der Chinesische und Japanische Eichenseidenspinner zur Seidengewinnung eingesetzt.

Nach Art des Seidenspinners lassen sich die folgenden Seidenarten unterscheiden:

  • Maulbeerseide stammt von vom Seidenspinner Bombyx mori und wird aus den vollständigen Kokons vor dem Schlüpfen der Falter gewonnen, indem die Larven im Kokon abgetötet werden.
  • Wildseide wird nach dem Schlüpfen der Falter gewonnen. Zu den Wildseidenarten gehören unter anderem die Tussahseide, die von den Kokons des Japanischen Eichenseidenspinners stammt, die Anaphe Seide, Eriaseide und Yamamyaseide. Da die Raupen bei der Seidengewinnung bereits geschlüpft sind, ist der Kokon beschädigt. Bei der Garnherstellung werden die zerrissenen Fäden wieder zusammengefügt, was zu vielen kleinen, unregelmäßigen Knötchen im Gewebe führt und der Wildseide ihre charakteristische Struktur verleiht. Wildseide ist robuster als Maulbeerseide und von dunklerer Farbe.
  • Fagaraseide wird aus den Kokons des Atlasspinners gewonnen, einer der größten Schmetterlingsarten überhaupt. Fagaraseide gehört zu den Wildseidenarten, da die Seidenfasern erst gewonnen werden, nachdem der Falter geschlüpft ist. Die Kokons bestehen aus vielen kurzen Fasern, was dem Seidengewebe eine gröbere Oberfläche verleiht. Fagaraseide ist von bräunlicher Farbe und deutlich robuster als gewöhnliche Seide. Dennoch wird sie wesentlich seltener zur Herstellung von Textilien verwendet.

Seidenarten nach Art der Seidenherstellung

Haben sich die Raupen des Seidenspinners verpuppt, werden die Kokons von Hand abgesammelt und die Puppen wie beschrieben abgetötet. Für die Gewinnung des Seidenfadens wird der Kokon nach einer gründlichen Reinigung abgehaspelt – das bedeutet, der Faden wird in einem Zug abgewickelt. Auf diese Weise gewinnt man die Rohseide. Nach dem Abwickeln wird der Faden vom Seidenleim befreit, was man als Entbasten bezeichnet.

Nach dem Abwickeln bleiben jedoch noch Kokonreste übrig. Da Seide ein äußerst kostbares Gut ist, werden diese nicht etwa entsorgt, sondern ebenfalls weiterverarbeitet. Je nach Seidenart entfällt zudem der Arbeitsschritt des Entbastens.

Abhängig von der Art der Seidenherstellung lassen sich so ebenfalls mehrere verschiedene Seidenarten unterscheiden:

  • Haspelseide ist Seide, die in einem einzigen Faden aus dem Mittelteil des Kokons abgewickelt wird. Diesen Prozess bezeichnet man in der Fachsprache als Abhaspeln.
  • Schappeseide wird aus den übriggebliebenen Teilen des Kokons im Kammgarnverfahren gewonnen. Die dabei gewonnenen Fasern sind von mittlerer Länge, etwa 15 Millimeter. Obwohl es sich um eine aus einem „Abfallprodukt“ gewonnene Seide handelt, ist Schappeseide von hochwertiger Qualität. Sie wird unter anderem zu Nähseiden und feinen Seidengeweben weiterverarbeitet.
  • Die kürzeren Fasern, die beim Auskämmen übrig bleiben, sowie Kokonreste werden zu Bouretteseide verarbeitet. Der Name stammt vom Französischen bourre, was so viel wie Füllhaar oder Flock bedeutet. Durch die Kürze der Fasern bedingt, enthält Bouretteseide immer Kokonreste und Seidenleim. Sie ist von eher grober Struktur und glanzlos.
  • Dupionseide stammt aus den abgehaspelten Fäden von Doppelkokons des Maulbeerseidenspinners. Das Abhaspeln vom Doppelkokon führt zu einer leicht unebenen Oberfläche. Die typischen Faserknötchen verleihen ihr eine leinenartige Haptik. Dupionseide wird zum Beispiel zur Herstellung von Schals, Krawatten, Blusen und Kleidern verwendet, aber auch für Vorhänge und ähnliche Wohntextilien.
  • Noileseide gehört zu den Maulbeerseiden und wird in einem Zug vom Kokon abgehaspelt. Sie zählt zu den edelsten Seidenarten.
  • Shantung-Seide wird im Gegensatz zu den anderen Seidenarten nicht entbastet, also nicht vom Seidenleim befreit, und stammt aus der gleichnamigen Provinz in China.
  • Habotai-Seide stammt ursprünglich aus China. Um 1000 v. Chr. gelangte sie nach Japan und gehört dort zu den bevorzugen Seidenarten. Aus Habotai-Seide werden unter anderem Kimonos gefertigt.

Seidenarten nach Gewebeart

Damit aus dem Seidenfaden modische Kleidung oder edle Wohntextilien entstehen können, muss er nach der Gewinnung und Reinigung gewebt werden. Je nach Bindungsart entsteht dabei Gewebe unterschiedlicher Feinheit, das mal mehr, mal weniger Glanz aufweist. Bei der Leinwandbindung, der ältesten Bindungsart, wird zum Beispiel jeweils ein Kettfaden über einen Schussfaden geführt. Es entsteht eine schachbrettartige Optik. Gewebe in Leinwandbindung erscheinen auf beiden Seiten gleich, es gibt keine Stoffober- und -unterseite. Für die Ripsbindung wird entweder die Zahl der Kettenhebungen oder der Schusspunkte erhöht. Dadurch entsteht ein Gewebe mit sichtbaren Rippen, das sehr abrieb- und reißfest ist. Kreppgewebe werden in Taft- oder Leinwandbindung hergestellt, wobei in der Kette glatte Garne und im Schuss Crepegarne verwendet werden. Das verleiht dem Stoff eine krause Struktur. Bei unechten Kreppgeweben ist das unregelmäßige Über- und Untereinanderführen der Schuss- und Kettengarne für die unregelmäßige Oberfläche verantwortlich. Für die Körperbindung, auch als Twill oder Serge bezeichnet, werden Bindungspunkte treppenartig aneinandergereiht. Die Atlasbindung führt zu zweiseitigen Stoffen, bei denen auf der einen Seite die Kettenfäden, auf der anderen Seite die Schussfäden dominieren.

Nach Art des Gewebes lassen sich die folgenden Seidenarten unterscheiden:

  • Chiffon ist ein sehr feines und leichtes Gewebe für die Modeherstellung. Der zarte Stoff wird unter anderem zur Herstellung von Schleiern, Schals und Strandmode verwendet.
  • Crepe de Chine wird ausschließlich aus Haspelseide in Taftbindung hergestellt. Der Stoff zeichnet sich durch eine intensiv schimmernde Oberseite und eher matte Unterseite aus. Crepe de Chine ist blickdicht und wird vor allem für die Herstellung von Seidenbekleidung verwendet.
  • Crepe Georgette wird wie Chiffon in Kreppbindung hergestellt, ist aber etwas fester und weniger transparent. Der Stoff zeichnet sich durch eine intensiv schimmernde Oberseite und eher matte Unterseite aus. Crepe de Chine ist blickdicht und wird vor allem für die Herstellung von Seidenbekleidung verwendet.
  • Crepe Satin ähnelt dem Crepe de Chine darin, dass der Stoff eine hochglänzende und eine matte Seite aufweist. Die glänzende Seite verfügt allerdings über einen noch intensiveren Schimmer. Gewebt wird Crepe Satin mit abwechselnd zwei S- und Z-Schusskreppfäden und einer Kette aus Garnen mit normaler Drehung. Verwendet wird Crepe Satin unter anderem für die Herstellung von Abendbekleidung sowie von hochwertigen Wohntextilien.
  • Faille ähnelt dem Taft, weist aber in regelmäßigen Abständen dickeres Garn auf.
  • Honanseide ist Wildseide in Taftbindung, benannt nach der chinesischen Provinz Honan. Sie weist im Schuss Verdickungen auf, während die Kette aus glatter Haspelseide besteht. Typisch für Honanseide ist die trockene, leicht knirschende Haptik.
  • Organza besteht aus stark gedrehtem Seidengarn. Die Besonderheit dieses Gewebes ist es, dass der Seidenleim nicht entfernt wird, wodurch sich ein fester Griff und eine leichte Knitteranfälligkeit ergeben.
  • Ponge wird in robuster Taftbindung gefertigt und zeichnet sich dadurch aus, dass der Stoff besonders viel Farbe aufnehmen kann. Verwendet wird Ponge vor allem für die Herstellung von Seidenmode.
  • Taft wird leinwandbindig gewebt, mit dickerem Faden im Schuss und dichter Ketteinstellung, wodurch sich ein feiner, aber griffeger Seidenstoff ergibt.
  • Twill Seide besteht komplett aus Haspelseide, deren Fäden in Schuss und Kette leicht gedreht werden. Sie wird doppelt gewebt, st glänzend und sehr geschmeidig.

Kunstseide

Neben der Naturseide gibt es auch industriell hergestellte Stoffe, die in ihren Eigenschaften dem Naturmaterial recht ähnlich sind. Zu den von Menschenhand gefertigten Endlosfilamenten gehören Kunstfasern wie Viskose und Polyester. Wie natürliche Seide auch, sind diese Stoffe sehr fein und glatt, können allerdings wesentlich kostengünstiger hergestellt werden. In der Kleidungsindustrie finden sie vielfältige Verwendung, können allerdings mit den hautfreundlichen Eigenschaften echter Seide nicht mithalten. Heute darf die Bezeichnung „Seide“ nicht mehr für diese Stoffe verwendet werden, um Verbraucher nicht zu verwirren.

Qualitätsstufen von Seide

Wie viele andere Textilien auch, wird Seide in unterschiedliche Qualitätsstufen eingeteilt. Es gibt allerdings keine allgemeingültigen Normen, nach denen sich diese Einteilung richten muss. Vielmehr legt jeder Hersteller intern aus, wie er die Seidenqualität beurteilt. Die Qualität richtet sich dabei nach der Anzahl der Webfehler, die sich im fertigen Gewebe finden.

Die Qualitätsabstufungen im Überblick:

  • AAA bezeichnet Seide von bester Qualität, die je Laufmeter null bis einen Webfehler aufweist.
  • AA bezeichnet Seide, die zwei bis fünf Webfehler pro Laufmeter aufweist.
  • A bezeichnet Seidentextilien mit sechs bis zehn Webfehlern pro Laufmeter.
  • B ist die Qualitätsstufe für Seidenstoffe, die mehr als zehn Webfehlern pro laufendem Meter oder Löcher, Risse oder eine fehlerhafte Vor- und Nachbehandlung aufweist.

Wie können Sie echte Seide erkennen?

Da neben Stoffen aus Naturseide auch viele Textilien aus Kunstseide auf dem Markt sind, fragt sich so mancher Verbraucher, woran er echte Seide eigentlich erkennen kann. Für den Laien gestaltet sich das gar nicht so einfach. Bei in Deutschland gekauften Textilien können sich Verbraucher in der Regel auf die Angaben im Etikett verlassen. Textilien müssen gesetzeskonform gekennzeichnet werden, schreibt der Hersteller also „100% Seide“ aufs Etikett, darf das Textil auch nur aus natürlicher Seide bestehen. Eine fehlerhafte Kennzeichnung kann empfindliche Strafen nach sich ziehen.

Doch wie verhält es sich mit Stoffen, die im Ausland oder über Online-Verkaufsplattformen von privat erworben wurden? Eine Brennprobe kann Aufschluss geben: Im Gegensatz zu Kunstfasern ist Seide nur sehr schwer brennbar, brennt langsam und verlöscht manchmal sogar von selbst. Allerdings beschädigt man so natürlich das Textil. Ein Blick auf die Angaben des Verkäufers kann weiterhelfen: Wird in der Produktbeschreibung lediglich von „seidenartig“, „seidenzart“ oder „Seidenglanz“ gesprochen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um Kunstseide handelt. Sind die Gewebe als „100% Satin“ oder „100% Chiffon“ bezeichnet, handelt es sich vermutlich ebenfalls nicht um Seide. Satin, Chiffon, Georgette und ähnliche Bezeichnungen geben lediglich die Webart an und lassen keinen Rückschluss auf das Material zu. Handelt es sich um echte Seide, werden Händler dies kaum verschweigen.

Natürliche Seide hat zudem ihren Preis. Bei sehr günstigen Textilien ist daher fast mit Sicherheit davon auszugehen, dass diese aus Kunstfasern bestehen.