Kunstseide

Kunstseide sind Textilfasern, die durch ein spezielles Verarbeitungsverfahren natürlicher Seide sehr ähneln. Die Fasern werden dabei chemisch aus Polymerlösungen erzeugt. Die bekannteste Kunstseide ist Viskose, die aus Cellulose-Fasern besteht. Kunstseiden sind halbsynthetische Stoffe; der Ausgangsstoff ist natürlichen Ursprungs, im Fall von Kunstseide Cellulose, wird aber durch ein chemisches oder physikalisches Verfahren abgewandelt.

Begriffsgeschichte

Die Bezeichnung Kunstseide geht auf britischen Physiker, Chemiker und Erfinder Joseph Wilson Swan zurück. Er nutzte den Begriff für die von ihm erstmals in den 1880er Jahren erzeugten Filamente aus Nitratcellulose. Bis in die 1960er Jahre hinein wurden auch auf Basis von Cellulose hergestellte Fasern wie Kupfer-, Viskose- und Acetatfilamentgarne als Kunstseide bezeichnet. Der alternativ eingeführte Begriff Glanzstoff konnte sich nicht durchsetzen.

In den 1950er Jahren regte die Firma Gütermann einen Markenrechtsstreit an, um Namenähnlichkeiten zur „Gütermanns Nähseide“ zu vermeiden. Seitdem dürfen Wortverbindungen mit „Seide“ nicht mehr für Chemiefasern genutzt werden. Die Begriffe Kunst- und Chemieseide wurden dadurch ebenfalls hinfällig. Umgangssprachlich werden sie zwar noch genutzt, Hersteller dürfen sie allerdings nicht mehr zur Auszeichnung von Textilien verwenden. Für Viskose-Filamentgarne bürgerte sich die Bezeichnung Rayon oder Reyon ein, die Spinnfasern wurden als Zellwolle bezeichnet. Die Textilkennzeichnungsverordnung untersagt allerdings auch die Verwendung dieser Begriffe für die Kennzeichnung von Textilerzeugnissen.

Geschichtliche Entwicklung der Kunstseide

Seide ist ein edler Stoff, der die Menschen schon seit Jahrhunderten fasziniert. Allerdings war das aus den Fäden der Seidenspinnerraupe gewonnene Material vor der kommerziellen Züchtung der Schmetterlinge auch sehr selten und damit sehr teuer. Schon früh begannen daher erste Versuche, Seide künstlich herzustellen:

• 1664 unternahm der Brite Robert Hooke erste mikroskopische Untersuchungen der Seide, um ihrer Struktur auf die Spur zu kommen.
• 1839 entwickelte der Franzose A.Payen ein Verfahren, um aus Holz Cellulose, die einzelnen Pflanzenfasern, zu gewinnen. Benötigt wurde nun noch ein Verfahren, um aus diesen Pflanzenfasern textiles Gewebe herstellen zu können.
• Erstmals beschrieben wird ein derartiges Verfahren 1855: Künstliche Fasern wurden aus in Lakohol und Äther gelöster Nitrozellulose hergestellt.
• Verfeinert werden konnte dieses Verfahren allerdings erst 1883, als Joseph Wilson Swan einen chemischen Prozess entwickelte, um Fäden herzustellen – die so genannte Nitro-Kunstseide.
• 1890 übernahm die “Société Anonyme pour le fabrication de la soie de Chardonnet” die fabrikmäßige Herstellung dieser Kunstseide.
• Ende des 19. Jahrhundert entdeckten deutsche Forscher, dass sich Cellulose-Fasern auch in Kupferoxid-Ammoniak lösen ließen – der erste Schritt auf dem Weg zur Kupfer-Kunstseide, die der echten Seide ähnlicher und in der Herstellung günstiger ist als Nitro-Kunstseide.

Fertigung von Kunstseide – Grundlagen

Als Basis für die Herstellung der glänzenden, weichen Stoffe dienen Polyethylen-Fäden. Aus diesem Material werden auch Plastiktüten hergestellt. Die Polymerlösungen werden in ein Fällbad mit einem Lösungsmittelgemisch eingedüst, das heißt, sie werden mit erhöhter Luftzufuhr durch eine Lochbohrung eingebracht. Dieser Vorgang wird als Nassspinnen bezeichnet. Je nach Art des Garns, der auf diese Weise entstehen soll, werden die Cellulose-Regenratfasern anschließend zertrennt oder unzertrennt der Textilverarbeitung zugeführt.

Eigenschaften und Verwendung

Die cellulosen Garne ähneln echter Seide in Optik und Haptik sehr, sind allerdings weniger empfindlich. Die Stoffe weisen einen ähnlichen Schimmer auf wie Naturseide, fallen weich und fließend und kratzen aufgrund ihrer extrem glatten Oberfläche nicht auf der Haut. Genau wie Stoffe aus Naturseide eignen sie sich daher für Menschen mit empfindlicher Haut und für Allergiker. Im Sommer weisen die Stoffe kühlende, im Winter wärmende Eigenschaften auf.

Im Gegensatz zu echter Seide, deren Grundgerüst chemisch gesehen aus einem Protein, einem Polyamid, besteht, bestehen Kunstseiden allerdings aus dem Polysaccherid Cellulose, einem Polyether.
Aufgrund des günstigeren Preises werden Gewebe aus Cellulosefasern heute vielseitig in der Textilindustrie verwendet.

Verschiedene Arten der Kunstseide

Es gibt verschiedene Formen der cellulosen Faserstoffe, unter anderem Viskose und Fasern aus Cellulose-Acetat, bekannt als Acetatseide. Umgangssprachlich werden auch andere synthetische Fasern, wie etwa Nylon, zu den Kunstseiden gezählt.

Cupro

Bei Cupro, kurz CUP, handelt es sich um eine im Kupfer-Ammoniak-Verfahren gesponnene Cellulose-Regeneratfaser. Früher wurde das Garn als Kupferseide oder Kupferfaser bezeichnet und ist auch unter dem Markennamen Bemberg bekannt. Cupro wird hauptsächlich als Filament, seltener als Spinnfasern hergestellt.

Bereits im Jahr 1857 stellte der Zürcher Chemieprofessor Matthias Eduard Schweizer fest, dass sic Cellulosefasern in einer wässrigen Lösung aus Kupfer(II)-hydroxid und Ammoniakwasser lösen lassen. Diese Lösung wird auch Schweizer Reagens genannt. 1892 gelang es dem Chemiker Max Fremery und dem Ingenieur Johann Urban, die im Schweizer Reagens aufbereiteten Cellulose-Fasern zur Herstellung von Glühfäden für Glühlampen zu nutzen. Das Verfahren verfeinerten sie anschließend so weit, dass sich die gelösten Fasern zu Textilgeweben weiterverarbeiten ließen. Fünf Jahre später melden Fremery und Urban ihr Verfahren unter dem Namen des deutschen Chemikers Hermann Pauly zum Patent an. Die sogenannte Pauly-Seide dient bis heute als Grundlage für das Herstellungsverfahren. 1899 gründen Fremery und Urban die Vereinigte Glanzstoff-Fabriken zur Produktion ihrer Kupferseide und führten die Bezeichnung Cupro ein. Der neue Name sollte unter anderem sicherstellen, dass die Garne nicht nur als Ersatz für Naturseide erscheinen. Nach Vorstellung seiner Erzeuger sollte Cupro vielmehr als komplett neues Textilprodukt für neue und besondere Verwendungszwecke angesehen werden.

Cupro wird allerdings nur noch in sehr geringer Menge produziert, weltweit gibt es zudem nur einen einzigen Hersteller. Aus Cupro hergestellte Gewebe sind sehr glatt, atmungsaktiv, hygroskopisch und laden sich nicht statisch auf. Heute werden sie in erster Linie für die Herstellung von Futterstoffen verwendet.

Viskose

KunstseideIn der Textilherstellung durchgesetzt hat sich vor allem Viskose, eine Kunstseide, die chemisch gesehen aus dem zähflüssigen Material Cellulose-Xanthogenat besteht. Viskose ist in der Herstellung sehr günstig, die Fasern sind sehr widerstandsfähig. Entdeckt wurde das Verfahren zur Viskose-Herstellung 1891 von den Engländern Charles Frederic Cross, Edward John Bevan und Clayton Beadle.

Das Viskoseverfahren stellt heute das am weitesten verbreitete Nassspinnverfahren dar. Aus verschiedenen Holzsorten, Baumwolllinters oder einjährigen Faserpflanzen wird ein Chemiezellstoff gewonnen. Im Unterschied zum Zellstoff, der für die Papierproduktion verwendet wird, weist dieser Chemiezellstoff längere Ketten an Cellulosepolymeren und eine höhere Reinheit auf. Zur Herstellung der Spinnlösung werden Zellstoffbögen in einer wässrigen Natronlauge eingeweicht. Die Cellulose quillt auf und wird in Alkalicellulose umgewandelt. Die aufgequollenen und abgepressten Alkalicellulosebögen werden in feine Partikel zerfasert. Anschließend wird bei gleichbleibender Temperatur und Luftfeuchtigkeit der Polymerationsgrad der Cellulose herabgesetzt. Diese nun vorgereiften Alkalicellulosepartikel bringt man mit Schwefelkohlenstoff in Verbindung. Dadurch entsteht Xanthat, das mit Natriumhydroxid gemischt wiederum eine viskose Lösung ergibt – die Viskose-Lösung, von der sich auch der Name des Stoffes ableitet. Die Viskose-Lösung wird filtriert, reift nach, und wird, in der Regel nach nochmaliger Filtration, als Spinnlösung dem Spinnkessel zugeführt. Aus der Lösung werden nun die Filamente ersponnen und anschließend nachbehandelt.

Durch Veränderung einzelner Parameter beim Herstellungsprozess und bei der Nachbehandlung können die Eigenschaften der Viskosefasern an verschiedene Verarbeitungs- und Verwendungszwecke angepasst werden.

Cellulose-Acetat

Ähnlich beliebt wie Viskose sind Cellulose-Acetat-Fasern. Unter diese Sammelbezeichnung fallen Stoffe, die durch Einwirkung von Eisessig und Essigsäurehydrid auf Cellulose hergestellt werden. Celluloseacetat gehört zu den ältesten thermoplastischen Kunststoffen und zählt zu den bio-basierten Kunststoffen. Aus diesen Fasern hergestellte Gewebe sind natürlicher Seide ebenfalls sehr ähnlich. Sie besitzen einen tiefen Glanz, knittern wenig, sind widerstandsfähig und fühlen sich sehr weich an. Ein weiterer Vorteil von Viskose und Cellulose-Acetat-Fasern ist, dass sie sehr pflegeleicht sind.

Dem französischen Chemiker Paul Schützenberger gelang es erstmals 1865, Celluloseacetatfasern aus Baumwollfasern und Essigsäureanhydrid zu gewinnen. Im Jahr 1907 folgte die erstmalige Produktion von Acetatseide in der Kunstseidenfabrik Jülich. Bis 1920 wurde Acetatseide lediglich im ungefärbten Zustand angeboten. Erst der Schweizer René Clavel konnte ein Verfahren zum Einfärben des Garns entwickeln. Ein Jahr darauf startete die Massenproduktion der Acetatseide unter dem Handelsnamen „Celanese“.

Kunstseide pflegen

Stoffe wie Viskose und Acetat fühlen sich ähnlich weich und angenehm an wie Seide. Sie sind zwar nicht ganz so empfindlich wie das Naturmaterial, sollten aber dennoch sorgsam und vorsichtig behandelt werden. Viskose neigt zum Beispiel dazu, schnell einzulaufen, wenn sie zu heiß gewaschen wird. Außerdem reißen die Fasern in nassem Zustand leicht.

Bei der Pflege von Kunstseide sollte man sich an den Pflegehinweisen des Herstellers orientieren. Falls nicht anders angegeben, lassen sich Kleidungsstücke aus Viskose und Celluloseacetat in der Waschmaschine reinigen. Einige Kleidungsstücke können bei 40 °C gewaschen werden. Schonender ist die Wäsche bei 30 °C. Am besten eignet sich die Maschinenwäsche im Feinwasch- oder Schonwaschgang. Um den Stoff vor Beschädigung zu schützen, sollte die Kleidung zudem nur kurz und bei geringer Drehzahl geschleudert werden, maximal mit 600 Umdrehungen pro Minute. Die Waschtrommel sollte dabei höchstens zu zwei Dritteln befüllt werden. Reißverschlüsse, Pailletten und Strasssteine können ebenfalls zu Schäden im empfindlichen Material führen. Kleidungsstücke mit schmückenden Verzierungen wäscht man daher idealerweise separat, Reiß- und Klettverschlüsse sollten geschlossen werden. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann die Wäschestücke auch in ein Wäschenetz geben.

Ebenso wichtig wie die richtige Temperatur ist die Wahl des passenden Waschmittels. Genau wie für natürliche Seide empfehlen sich für die Pflege von Kunstseide flüssige Waschmittel. Waschmittel in Pulverform können sich in den feinen Fasern festsetzen, was die Stoffe stumpf und glanzlos erscheinen lässt. Ein Weichspüler wird für die Wäsche chemischer Seidenstoffe nicht benötigt. Da Weichspüler oft Bleichzusätze enthält, kann er die empfindlichen Materialien schädigen.

Ist ein Kleidungsstück trotz aller Vorsicht eingelaufen, sollte man es erneut auf niedriger Temperatur waschen oder in ein Wasserbad mit einem sanften Pflegemittel tauchen. Statt Waschmittel lässt sich zum Beispiel ein Haarshampoo für Kleinkinder verwenden. Das erneute Waschen lockert die Fasern. Das feuchte Kleidungsstück kann anschließend behutsam in Form gezogen werden.

Der Trockner ist für Kunstseide wie Viskose, Cupro und Celluloseacetat generell tabu. Aufgrund ihrer besonderen Faserstruktur knittern die Stoffe sehr leicht. Zum Trocknen hängt man die Kleidungsstücke daher glatt über einen Bügel. Um den Stoff wieder schön glatt zu bekommen, bügelt man ihn, bevor er ganz trocken ist auf der zweiten Stufe und unter einem feuchten Tuch. Alternativ eignet sich ein Dampfbügeleisen. Auf keinen Fall sollte man die Textilien auf der Heizung trocknen lassen. Durch die hohen Temperaturen ziehen sich die Fasern zusammen und die Kleidung läuft ein.

Bei einigen Kleidungsstücken aus Kunstseide empfiehlt sich ein noch pfleglicherer Umgang. Möchte man etwa die Leichtigkeit und Fasson eines Viskoseschals bewahren, sollte man ihn bei kalten Temperaturen waschen, in waagerechter Lage trocknen und beim Bügeln ein Stofftuch unterlegen.